TorTour de Ruhr 2018 – Die Welt schrumpft zusammen

TorTour de Ruhr 2018 –

Die Welt schrumpft zusammen

“Wir kamen als Crew, verschmolzen zu einer Einheit und gingen als Familie.”

Hier sitze ich nun, bei geöffneter Terrassentür. Draußen ist strahlender Sonnenschein. Ein Wind weht. Ich höre Blätter rauschen und Vögel zwitschern. Es ist der 21.05.2018, 14:44 Uhr und ich tippe die ersten Worte auf der Tastatur. Es ist noch keine 21 Stunden her, als der Christian aka. Trailtiger die 160 Kilometer der TorTour de Ruhr 2018 erfolgreich ins Ziel gelaufen hat.

Ich habe mir einen kleinen Schrein gebaut, aus Relikten die mich und uns die letzten Stunden des Projektes “Trailtiger goes TorTour de Ruhr” begleitet haben.

Mittig steht er, der momentane Hauptakteur, der Laptop. Groß, gehalten in schwarz und grau. Das Schreibprogramm tut was ich ihm befehle und fügt die Buchstaben zusammen. Viele dunkle Tasten zieren ihn, mit Buchstaben, Zahlen, Zeichen. Sie klicken beim drücken. Leise gibt der Lüfter ein monotones Geräusch von sich.

Umrahmt wird er als erstes vom Erkennungszeichen der Crew. Links, etwas schräg oberhalb hat es seinen Platz gefunden. Das Truckercap, 60% Baumwolle und 40% Polyester. Weißes Mesh findet man im hintern Teil der Kopfabdeckung. Viele winzige Löcher sorgen für optimale Belüftung. Im vorderen Teil besteht es aus einer grauen durchgehenden Fläche auf welche jedem, in großen orangen Lettern “Tiger Crew” entgegen leuchtet. Bestickt wurde es. Gemacht für optimale Haltbarkeit. Es ist der Motor der die versammelte Meute unter allen Teilnehmern und Begleitpersonen herausstechen lies. Jeder trug es mit Stolz, immer, permanent.

Unterhalb davor dampft er, der Kaffee. Schwarz, heiß, mit einer leichten Crema, gefüllt in eine schlichte weiße Tasse. Der Henkel ist nach links gedreht damit sie sofort gut in den Fingern liegt. Muntermacher, wärmend, belebend. Pacern hat er neue Kraft gegeben. Verpflegern weitere Stunden geschenkt.

Links, schräg daneben, angeordnet auf einem Teller aus Porzellan, der beschichtet ist mit einer matten, grauen Lasur – Kuchen. Ein Stück und ein halbes. Dies sind die Überreste. Nutella- und Gummibärchenkuchen. Ein paar Krümel sind daneben gegangen und warten liegend darauf gierig aufgeleckt zu werden. Die Gabel ist fein säuberlich angeordnet und wartet auf ihren Einsatz in den weichen, süßen Teig zu stechen, der neben den genannten Zutaten unter anderem Vanillepudding und Erdbeermarmelade enthält. Er hat die Crew und den Läufer auf vielen Stunden genährt, verpflegt und Hoffnung gegeben.

Wandern wir mit dem Blick nach rechts, sehen wir oben, über allem stehend eine braune Flasche aus Glas, Standardmodell, wahrscheinlich genormt, wie so vieles. Es ziert Etiketten auf der Vorder- und Rückseite des großen runden Bauches und eine Banderole um den Hals. Bedruckt ist alles mit dem Label eines bekannten Bierherstellers, Zutaten und dem Zusatz “alkoholfrei”. Sie ist bereits geöffnet. Bereit zu laben. Der Kronkorken wurde achtlos in den Müll geschmissen. Dieses Getränk aus Hopfen, Malz und dem Hauptbestandteil Wasser, war nicht wegzudenken und sorgte für die notwendige Flüssigkeitszufuhr und Kalorien die nicht nur die Crew benötigte, sondern auch bei Christian für Abwechslung an den Verpflegungspunkten sorgte.

Daneben steht Wasser. Schnödes, einfaches und doch so wichtiges H2O aus der Leitung. Versorgt es doch den Läufer. Beim Tiger war es angereichert mit Isotabletten, je zwei Stück auf eine Softflask. Dies waren größten die Tabletten die ich je gesehen haben. Nur vergleichbar mit Tabs für die Spülmaschine. Wie wichtig dieser flüssige Stoff noch werden würde zeigte uns die Wetterprognose. Warme Temperaturen sollten es werden. 25 Grad und mehr. Zum Ende wurde nicht nur von innen kräftig aufgefüllt, sondern auch aus voller Pulle über Christian gekippt. Ich meine ein leichtes Zischen gehört zu haben.

Unterhalb des gefüllten Glases steht ein weiterer Teller. Selbe Beschaffenheit wie oben genannter nur etwas größer in Form und Durchmesser. Auch auf diesem befindet sich, wie sicher schon vermutet, Nahrung. Drei verschiedene Leckereien haben ihre Anordnung gefunden. Neben Haferbratlingen, in der Herstellung gewürzt mit Senf, Salz, Pfeffer, befindet sich ein Salat. Dieser wurde gemischt mit Dinkelnudel, grob geraspelter Möhre, klein geschnittenem Apfel, Kichererbsen, Kürbis- und Sonnenblumenkernen, außerdem Walnüssen und “Joghurt” aus Hafer. Ergänzt wird das alles um ein Brot aus Dinkelmehl, Kurkuma, Mohn, Sesam, Chayennepfeffer, schon erwähnten Kernsorten und bestrichen ist es mit einem Aufstrich aus Apfel, Senf und Softpflaume. Dies Lebensmittel dienten zur Versorgung der Crew und wurden dankend angenommen.

Als letztes ein weiteres Herzstück, wenn nicht das wichtigste, das allumfassende, allwissende Roadbook. Detailreich ausgearbeitet von Caro. Der Herzdame von Chris. Es liegt am unteren Rand und schließt den Kreis der Relikte. Es beinhaltet alle Informationen die zur Planung der Begleitung und Verpflegung nötig sind. Neben Adressen, auch Beschreibungen der Treffpunkte, gelaufene Kilometer, Countdown-Kilometer, Namen der Pacer und Fahrerinnen und Fahrern der Begleiträder. Es ist quasi die Bibel ohne die nichts so reibungslos gehen würde.

Ich habe mir diese Dinge angeordnet, da sie das sind, was ich materiell noch von der TorTour habe. Was ich jetzt, neben dem Schreiben essen und trinken werde. Sie werden Erinnerungen wach rufen und mich emotional packen. Ich muss diese Zeilen jetzt und sofort schreiben. Alles ist noch frisch und unverbraucht erlebt. Ich habe noch keine weiteren Fotos geschaut und Berichte gelesen. Ich habe bei Twitter nicht gescrollt und da auch bewusst wenig Worte zu den Bildern während der Begleitung geschrieben. Ich habe zuviel Angst, dass meine Eindrücke verwässert werden. Das meine Gedanken verpuffen und sich in Rauch auflösen. Ich möchte mein Erlebtes schildern und mich durch nichts beeinflussen lassen. Wie lang das alles wird weiß ich nicht. Weder kann ich mich auf eine Schreibweise festlegen, noch auf eine Form der Gestaltung. Vielleicht lasse ich auch nur Bilder sprechen Ich kann nicht auf Vollständigkeit garantieren oder auf irgendeine durchgetacktete Chronologie. Ich lasse es einfach geschehen und fließen. Am Ende steht hier was und das ist richtig so.

Jetzt aber erstmal ein Stück Kuchen.

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Für mich begann das Erlebnis “Begleitung der TorTour” erst recht spät. Die Planung war schon in vollem Gange. Als mir bewusst wurde, dass es Pfingsten ist, meine Familie im Urlaub sich die Sonne auf den Pelz scheinen lässt und ich also vor Langeweile eingehen würde, reifte in mir der Entschluss mich mit Christian in Verbindung zu setzen und ihn zu fragen ob er nicht noch ein Mitglied in seiner Crew benötigen könne. Gesagt getan und keine zwei Augenblicke später begann das Abenteuer mit einer Einladung in die Whatsapp-Gruppe zur Tour. Nun war ich also mittendrin. Ich gesellte mich nicht nur zum Tiger, sondern auch zu Henning (dem Gewinner des zwei Wochen vorher stattgefundenen WHEW, hier als Pacer auf den ersten Metern ab KM 31,3), Basti (der leider später absagen musste, aber im Herzen dabei war), Kati (die noch als Pacerin einer zweiten Crew “engagiert” war), René und Flo (die beiden Schnaufwechsler und -caster, als mobile VP), dem, unter seinem Pseudonym besser bekannten, Schluppenchris aka. Mr. SCHLEM (der uns als Pacer noch positiv überraschen sollte), Caro (Planerin, Begleitradfahrerin und seelische Stütze für Chris), Antje (die ebenfalls in die Pedalen trat), Thomas (Mr. Running-Podcast und Pacer für den letzten Marathon) und eben ich (Fahrradfahrer, Koch, Bäcker und Verpfleger für unterwegs). Ergänzt wurde das ganze um ein Wohnmobil, dem WoMo, dem Schlachtschiff und Versorgungsross der ganzen Truppe. Ein fahrendes Zuhause, welches uns noch einige Probleme bereiten sollte, besonders bei Parkplatzsuche, aber dennoch einen wichtigen Teil darstellte.

Die Tage zogen dahin. Es wurde mal mehr, mal weniger geschrieben, dafür wurde viel gesprochen, denn die Vorbereitung wurde von Florian und dem Tiger im Schnaufcast aufgezeichnet, ausgewertet und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Die letzten 7 Tage vor dem 19.05. explodierte der Chat förmlich. Es wurde noch organisiert, abgesprochen, letzte Besorgungen gemacht, Treffen vereinbart. Es ging zu wie in einem Ameisenhaufen. Teilweise wild durcheinander, aber dennoch mit viel Struktur, noch mehr guter Laune, Enthusiasmus und Aufopferung.

Mittlerweile hatten sich zum Hauptchat noch zwei weitere gesellt. Einer zur Kommunikation ohne Christian, der sich auf seinen Lauf konzentrieren sollte und einen der rein zur Verständigung auf der Strecke diente.

Die Uhr tickte, die Tage zählten sich runter und plötzlich war es Pfingstsamstag 18:00 Uhr, Startschuss für die Läufer über 160 Kilometer und ab da gab kein zurück.

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Wer bis dahin noch nicht im Tourmodus angekommen war musste dies nun schleunigst nachholen. Ab diesem Zeitpunkt lässt man alles hinter sich und vergisst sich selbst. Denn ab hier zählt nur ein Mensch. Der, der diese Strecke aufsich nimmt. Alles dreht sich darum, nichts anderes ist wichtig. Er ist für die nächsten Stunden der Nabel der Welt, die Achse um die sich alles dreht, der Polarstern. Eigene Bedürfnisse gibt es nicht. Schamgefühl und die gute Kinderstube sind für einige Zeit, zumindest teilweise, außer Kraft gesetzt. Der Tiger stand nackt vor mir, ebenso wie ich halbnackt durch das Wohnmobil sprang. Man liest dem Akteur am besten jeden Wunsch von den Augen ab und hat alles schon vorbereitet, damit seine Gedanken nur dem nächsten Schritt gelten, die mit voranschreiten zäher und zäher werden.

Für mich begann alles das aktiv ins Geschehen einschreiten erst etwas später. Beruflich bedingt stieß ich gegen 23:30 Uhr dazu. Christian war hier bereits 48,9 Kilometer (VP “Wellenbad”) unterwegs und in Begleitung von Hennig zu Fuß und Caro auf dem Fahrrad. Flo und Renè hatten den mVP aufgebaut und wir begrüßten uns kurz ab herzlich, denn Tiger gönnte sich gerade ein paar Minuten sitzen, was ihn aber nicht daran hinderte aufzustehen und das Hallo sagen mit einer Umarmung zu vollführen. Eine tolle Geste.

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Ich ließ alle wuseln, wollte niemandem im Weg stehen und wir schickten die Truppe johlend und klatschend wieder auf die Reise. Nun hieß es zusammenpacken und weiter zum nächsten Treffpunkt. Dieser Abschnitt sollte der längste sein den Christian am Stück ohne VP bewältigte. Im Nachhinein ein kleiner Fehler, der ihm an die Substanz ging und moralisch eine negative Phase bescherte. Ganze 16 Kilometer legte er zurück bis man sich wiedertraf. Am Strandhaus Hengsteysee sammelten wir ihn ein. Wir beschlossen die weiteren Versorgungspunkte auf höchstens 8 Laufkilometer zu beschränken.

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Kurzfristig und recht spontan wurde festgelegt, dass ich ab hier die mobile Begleitung per Rad machen sollte, da Caro durchgefroren war und dringend Wärme benötigte. In Windeseile schlüpfte ich in zwei Paar Socken, ein Paar Schuhe, eine Leggins zum Laufen, Thermohosen, zwei lange Laufshirts, eine Laufjacke und eine Daunenjacke. Dazu ein Paar Handschuhe. Kalt wurde es trotzdem. Antje gesellte sich hier samt Fahrrad dazu und als Vierergespann setzten wir die Reise fort.

So waren wir die nächsten 35 Kilometer gemeinsam unterwegs (Antje verließ uns da aus terminlichen Gründen wieder). Wir liefen und fuhren nun zu viert durch das Dunkel der Nacht. Sie hüllte uns ein immer strikt dem Ruhrtalradweg folgend. Nur der Schein der Stirn – und Fahrradlampen durchschnitt die Schwärze. Die Laune war durchaus gut. Es wurde viel gequatscht über alles und jeden. Wir zählten immer wieder die Minuten zur Dämmerung um dem Tiger die Hoffnung auf Licht und moralisch einen Tritt zu geben.

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Während wir diese Strecke hinter uns brachten sagte Henning auf Wiedersehen (im wahrsten Sinne, denn er hatte eine Überraschung im Gepäck) und übergab bei Laufkilometer 72,6 den Pacerstab an Christian 2, die Schluppe und Laufzwilling vom Tiger. Gemeinsam haben sie schon den ein oder anderen Lauf hinter sich gebracht und sich die Nächte um die Ohren geschlagen. Also die perfekte Begleitung um durch die finsteren Stunden in den Tag zu laufen. Wie wichtig er war, zeigte sich noch später.

Wir vertrieben uns weiterhin die Zeit mit Blödeleien, reden, laufen, radeln, versorgen, Wünsche erfüllen, antreiben, ermahnen. Zwischendurch legte ich ab und zu ein paar Kilometer zu Fuß und mit Flugphase zurück um den kalten Körper aufzuwärmen. Denn Füße und Hände wurden zu Eisblöcken. Besonders die Finger galt es zu erwärmen, ohne sie geht nichts. Wer würde sich sonst um Chris kümmern?

Irgendwann begann dann der Tag zu erwachen. Hier kamen auch die Geister, die im Dunkel etwas ruhten, wieder, neue Kraft wurde gesammelt und das Revier zeigte sich von wahrer Schönheit. Echte Ruhrpottromantik.

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Nebelschwaden hingen über dem Fluß, den Seen, den Feldern und tauchen alles, mit Hilfe der Sonne, in eine liebevolles, märchenhaftes, zauberhaftes Licht. Diese Momente schenken dir alles. Du lässt die Gedanken schweifen. Zeigst sie dem Läufer. Lenkst ihn ab von Schmerz und Leid. Gibst ihm Minuten der Ruhe und Entspannung. Schenkst im Eindrücke von denen er zerren kann. Sie bauen ihn auf. Treiben ihn an und lassen ihn vergessen und, wenn es nur Augenblicke sind, aber diese können das entscheidende Quäntchen sein.


Nicht erst hier lief alles wie eine geölte Maschine. Die Absprachen zwischen Begleitung auf der Strecke und mobiler Verpflegung im WoMo funktionierte tadellos. Als Christian eintraf war alles vorbereitet. Oft gab es Brühe mit Nudeln, eigentlich immer Cola, auch mal ein Malzbier oder Kuchen. Schluppi hatte Schokolade dabei die einen Koffeinkick hatten, vom Tiger liebevoll Panzenschokolade getauft wurde und ihm, wie er bestätigte den Arsch gerettet haben und ihn aus manchen Löchern zog. Auch die Pacer wurden versorgt, die Radbegleitung füllte die Vorräte auf und schaute das alles wieder beieinander war.

In der Zwischenzeit hatten die Temperaturen angezogen und man spürte erste Anzeichen wie warm es werden sollte. Irgendwann am frühen Morgen kam uns Frederic aka. “Lexusburn” entgegen geradelt und begleitet uns bis VP “Wat läuft”. Hier übernahm er dann die Laufbegleitung von Thomas, auch bekannt als Lennetaler, der den Bambinilauf über 100k unter die Füße nahm und schob nebenher noch sein Rad.

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Christian zeigte sich als echte Maschine. Er lief wie ein Uhrwerk, hatte viele Worte auf den Lippen, entpuppte sich als Touristenführer und erzählte ein wenig über den Pott. Wir plauderten über Musikgeschmack, Ausrüstung beim Laufen, Vorlieben für dieses und jenes, unsere “Zuneigung” zu Herbert Grönemeyer. Hauptsache Ablenkung vom eigentlichen Geschehen und den vielen Kilometern die schon geschafft waren und noch kommen sollten. Wir ermahnten ihn nicht zu weit am Rand zu laufen. Denn da lauerten böse Bordsteine (Umknickgefahr), machten ihn auf Unregelmäßigkeiten auf der Strecke aufmerksam (das Pflaster war teilweise sehr blöd) und schickten ihn weit weg vom verteufelten Riesenbärenklau. Wir zwangen ihn zur Flüssigkeitsaufnahme und erkundigten uns nach der Farbe seines Harnstoffes. Wir lotsten ihn durch die immer größer werdende Menge an Fußgängern und Radfahrern und beschallten ihn aus einer Bassbox mit seiner eigens von ihm zusammengestellten Playlist aus Motivationsmusik, elektronisch und basslastig. Kurz gesagt, wir machten ihm das Leben so angenehm wie möglich.

Am VP “Nur noch ein Marathon” kam Thomas vom Running Podcast als letzter Pacer dazu und sollte den Tiger nun bis zum Orange begleiten. Allerdings war Schluppi so gut drauf, das er sich entschied weiter zu laufen und als moralische Stütze zu fungieren, denn auf der Strecke kennt außer Christian sich selbst, keiner ihn so gut. Eine besondere Tat und auch hier zeigt sich wieder die Aufopferung für die Sache. Am Ende lief er ganze 80 Kilometer Seite an Seite mit Chris.

Ich wechselte nach mehr als 7 Stunden auf dem Rad und gefahrenen 53,64 Kilometern wieder mit Caro, die die restlichen 42,195 Kilometer unter die Räder nahm, und gesellte mich zu Flo ins Wohnmobil. Gemeinsam bildeten wir nun die motorisierte Einheit. René wurde hier von Frau und Kind in Empfang genommen und verbrachte den Tag bis zum Abend mit seiner Familie. Wir sollten ihn im Ziel wiedertreffen.

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Zu fortgeschrittener Zeit beschränkte sich die Zubereitung der Nahrung für unterwegs auf Banane, Brühe (auch kalt), Cola und Panzerschokolade. Kartoffelpüree und Chinanudeln wurden von Christian auf Grund der Zusammensetzung abgelehnt. Zu heikel wäre hier eine Verstimmung des Magens gewesen. Auch sein so geliebtes Mars ließ er links liegen, denn eine kleine Übelkeit, auf den ersten Kilometern des Laufes, nach dem Verzehr einer der Riegel, hatte ihn aufhorchen lassen und lieber darauf verzichten.

Wir befinden uns nun schon auf den letzten 20 Kilometer. Endspurt, wenn man so will. Die Verpflegungspunkte wurden vom Tiger kaum noch länger beansprucht. Caro kam voraus geradelt, füllte alles auf, Christian kam zum bewässern von Loop, Shirt und Kopf und weiter ging es.

Wie warm es mittlerweile war zeigt dieses Bild eindrucksvoll. Schatten wurde mit allen zur Verfügung stehenden Hilfsmittel gespendet.

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Eine nette Überraschung kam uns auf der Fahrt zum Ruhrstadion entgegen. Henning war laufend unterwegs und wollte der Truppe entgegen flitzen. Geplant war das nicht. Wir sammelten ihn ein, warteten auf die restliche Crew und er begleitete die letzten 11 Kilometer. Schluppi stieg hier aus und kam zu uns ins Wohnmobil. Glücklich, zufrieden und überwältigt vom geleisteten kann er zurecht stolz sein, denn er war jederzeit ein starker Stützpfeiler auf der Strecke.

5 Kilometer vor Finish gab es eine letzte kalte Dusche für Christian. Das Ziel war zum greifen nah. Man konnte die Aura des Orange hier noch stärker spüren. Die Anziehungskraft lässt die letzte Kräfte mobilisieren und ich meine nicht unsere.

Hier kann ich es nur noch versuchen kurz und knapp machen. Die Emotionen überwältigen mich. Selbst beim schreiben steigt wieder Adrenalin auf. Ein Kribbeln stellt sich ein. Plötzlich bin ich wieder mittendrin. Stehe 200 m vor dem Mekka des Laufes, dem Symbol, dem Rheinorange und warte ungeduldig, zusammen mit Flo und Schluppi auf den Helden der letzten 24 Stunden. Um uns herum wird geklatscht, gejohlt, befeiert. Es kommen immer wieder Läufer an oder sind schon auf dem Rückweg und tragen stolz die schwere Medaille.

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Dann sehen wir ihn. Er wird mittlerweile noch von René laufend begleitet. Wir schmeißen die Hände ineinander, holen alles aus unseren Kehlen raus, lassen ihn hochleben. Vor uns fährt ein Radler der lautstark das Kommen eines Läufers ankündigt und die versammelte Schar von Begleitern und Finishern am Rand bilden eine Gasse. Alles verschwimmt zu einer feiernden Einheit. Wir begleiten Christian auf den letzten Schritten und schicken ihn die restlichen 50 Meter allein vor, damit er den Triumph genießen kann, das er diesen Moment für sich hat. Nie muss sich warmer Stahl so gut angefühlt haben.

Klatsch. Finish unter 24 Stunden auf 161,7 Kilometer.

Es wird umarmt, bedankt, beglückwünscht. Es werden Fotos gemacht und Jens Vieler, Organisator und Veranstalter, überreicht auch Christian, die in schwarz und silber gehaltene Medaille. Auch bekommt er hier schon seinen Buckle, eine noch schwerere Gürtelschnalle, denn zur Siegerehrung um 22:30 Uhr schafft es von uns keiner mehr.

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Wir verbringen ein paar Minuten sitzend und liegend im Gras. Lassen kurz das Geschehene in Gesprächen an uns vorbeiziehen. Der Tiger genießt auf dem Weg zum Wohnmobil noch einen besonderen Shuttleservice, denn er wird von mir auf dem Gepäckträger des Fahrrades zum Wohnmobil chauffiert. Eine Szene die von den Umliegenden lächeln betrachtet wird. Von den Läufern sicher neidvoll.

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Wir verabschieden uns hier von Thomas, Henning und René.

Nach einer kurzen Fahrt, bei der die Anspannung der vielen, vielen Stunden langsam abfällt, kommt dann auch die Müdigkeit. Lange gab es keinen Schlaf. Adrenalin, Aufregung, Zucker, haben wach gehalten. Wir steuern das Heim von Caro an, bringen das Wohnmobil, den treuen Begleiter auf Vordermann, während Christian duscht und vom Italiener bestellt. Der Tag, der Abend, klingt in redseliger Runde mit Caro, Christian, Flo und Schluppi mit Frankenstoff und heißer Pizza aus.

Nach über 40 Stunden ohne Schlaf ruhe ich die Nacht meines Lebens.

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Das Erlebnis TorTour de Ruhr 2018 ist beendet. Das Abenteuer ist geschafft. Der Trailtiger hat sein Ziel erreicht, also habe auch ich das meine gesehen. Nichts anderes hat gezählt, nichts war wichtiger. Man befindet sich in dieser kompletten Zeit in einer anderen Wahrnehmung. Die Welt schrumpft auf eine Minimum aus Funktion, Emotion, Gedanken, Gefühlen zusammen. Eine kleine Blase die am schweben gehalten werden muss. Koste es was es wolle. Während dieser Stunden ist der eigene Verfall unwichtig. Der Läufer darf davon nichts spüren. Alles ist eitel Sonnenschein und total spitze. Dafür wird man belohnt. Mit Erinnerungen, Zusammenhalt, ungeahnten Gedanken, fantastischen Freundschaften die sich verwurzeln. Ich habe hier den schönsten Zieleinlauf meines bisherigen Läuferlebens erfahren. Keines war schöner und so voll Glück, Freude, Emotion.

Ich kann meinen Dank für das Erlebte nicht in Worte fassen. Ich durfte Teil einer Crew sein die wie Zahnräder synchron ineinander liefen. Ich durfte einen Läufer auf vielen Kilometern betreuen. Ich legte sein Schicksal auch in meine Hände. Ich habe das getan was ich für richtig hielt, was die Crew für wichtig erachtete. Gemeinsam haben wir für ein Finish des Lebens gesorgt. Wir halten nun eine Verbindung in den Händen und werden lange auf dieses Erlebnis zurückschauen.

Die Teller sind leer. Die Flasche mit Luft gefüllt. Ich habe das Geschriebene nicht nochmal gelesen. Ich würde nie fertig werden. Zuviel habe ich erlebt. Ich fühle mich noch nicht bereit für die normale Welt. Zu sehr hänge ich in Gedanken.

Es ist 19:50 Uhr, Christian ist nun schon 26 Stunden im Ziel und ich beende diesen “Bericht” mit einer Zeile des Liedtextes aus “Stück vom Himmel” von Herbert Grönemeyer, dem Sänger aus dem Pott, mit dem sich der Kreis schließt.

“Es sind Geschichten, sie einen diese Welt”.

Danke für’s Lesen.

P.S. Eines muss allerdings noch erwähnt werden. Zu keiner Zeit hatte ich das Gefühl von “Oh mein Gott. Wie kann man sich das nur antun.” Ganz im Gegenteil. Ich möchte dies nochmal erleben. Als Läufer.

 

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3 Kommentare zu „TorTour de Ruhr 2018 – Die Welt schrumpft zusammen“

  1. Sehr schön geschrieben. Und wenn es nicht so „bekloppt“ wäre – man könnte ja schon Lust bekommen… Nein, den Gedanken sollte ich wohl mal verwerfen!
    Weiter so und nächstes Mal als Läufer?

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