Laufen im atomaren Nebel –
Bizarre, unwirkliche Schönheit
Gestern hatte ich die bizarrsten, abgefahrensten, unwirklichsten und zugleich schönsten Laufmomente und Erlebnisse meines bisherigen Läufe- Daseins und das alles nur, weil ich, frei nach Endurange, “JA” gesagt habe.
Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust mehr mich auf die Strecke zu begeben. Ich war den ganzen Tag mit dem Sohnemann im Schnee unterwegs. Wir entflohen der nebligen Soße in unserem Heimatort und fuhren Richtung Sonne.
Da ging es dann bergauf und mit dem Schlitten den selbigen wieder abwärts. Dementsprechend gut war es um mein Hinterteil bestellt und die Bergteigerambitionen taten ihr übriges. Ich fühlte ich etwas platt. Aber ich hatte die Laufhosen noch an (Lange Thermolaufhosen eignen sich auch hervorragend unter der Kleidung zum warmhalten.) und bevor ich mich auf dem Sofa ausbreitete und festsaß, zog ich die restlichen Klamotten an und machte mich auf den Weg.
Die Nebelbrühe war auch über den Tag nicht verschwunden und so bot sich mir schon auf den ersten Meter ein fahriges Bild. Straßenlaternenlicht kämpfte gegen die verhangene Suppe. Bäume bildeten bizzare Formationen. Ursprünglich wollte ich nur eine kurze Runde um die Häuser, entschied mich aber schon auf den ersten Metern für eine längere und dunklere Strecke. Wenn nicht jemand beim Waschhaus die Tür offen gelassen hätte, lässt die sich auch im Dunklen gut laufen. Hoffte ich auch diesmal, hätte es aber besser wissen sollen.
Ich bog also nach ein paar hundert Metern ins Ungewisse ab. Die Stirnlampe bescherte mir nichts als eine weiße Wand. Ab da begann das Schauspiel.
Ich lief ins Nichts. Ich lief wie in einem Horrorfilm nach einem Atomschlag. Ich kam mir vor wie in einem 3D-Egoshooter, in dem der Held, bestückt mit einer Taschenlampe durch den atomaren Nebel stolpert und nur schwarz und bizarre Formen sieht und seinen Atem und Schritte hört.
Schaltete ich die Stirnlampe ein, sah ich nur weiße Grisseln. Sicht keine 30 cm. Wie feuchte Asche die durch die Luft flog. Ohne Lampe sah ich mehr. Links und rechts blickte ich in schwarz, Umrisse von Bäumen und Sträuchern, gedämpftes Licht. Vor mir Nebel und immer dieses kribbelige Gefühl des Nebels, der Asche im Gesicht..
Sporadisch entgegenkommende Fahrzeuge wirkten unwirklich und waren kaum erkennbar. Außerdem fuhren sie sehr langsam, als ob sie lauern würden, als ob die Überlebenden der Katastrophe auf Suche nach irgendetwas wären. Es lag eine unheimliche Stille über allem. Geräusche wurden vom Fallout ausradiert.
Es klingt fast zu strange, aber von den Bäumen, die die Straßen säumten, flogen gelegentlich große schwarze Vögel davon. Von denen dann nur das sich immer weiter entfernende Flügelschlagen zu hören war. Meine Herz schlug tatsächlich bis zum Hals. Kinozuschauer oder die Daddler vorm Bildschirm hätten sich in Anbetracht der Szenen an der Lehne festgekrallt. Euch das hier nur ansatzweise zu vermitteln stellt sich schwierig dar. Ich hoffe die Bilder tun ihr übriges.
Und genau in dieser Szenerie begann es für mich bizarr, unwirklich schön zu werden. Hatte man sich mit der Apokalypse und seinem baldigen Ende abgefunden, konnte man anfangen zu genießen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Betrachtete man die Situation aus einem anderen Blickwinkel, hatte das alles etwas beruhigendes. Die Stille, die Dunkelheit, die Hülle aus Nebel und Nichts, das kalte Klirren auf der Haut.
Wenn ich diese Runde sonst laufe sind da immer Geräusche, flirrende Lichter der umliegenden Ortschaften, Autos rauschen vorbei. Diesmal nichts, null, mucksmäuschenstill. Keine Ablenkung. Die Schritte und der Atem hatten etwas meditatives. Man konnte komplett ins sich versinken, seinen Gedanken nachhängen oder sie komplett ausschalten. In dieser Form war das bislang auf keiner meiner Runden möglich. Man konnte sich nicht gegen die Schönheit des Moments wehren.
So im Nachhinein betrachtet war es die beste Entscheidung doch noch Schuhe über die Füße zu ziehen. Ich hätte sonst ein prägendes Erlebnis verpasst. Ich glaube ich werde ab sofort diese 8 Kilometer mit ganz anderen Augen sehen. Hier zeigt sich mal wieder, dass man dem Schweinehund keinen Raum geben sollte, denn die schönsten, schrägsten, schaurigsten Momente können dadurch entstehen.
Viele Grüße, eure schnellen Beine.
Moin Eric,
sehr toll! So Läufe mag ich auch gerne, man hört quasi nichts mehr, die Geräusche werden vom Nebel verschluckt… Genial!
Gruß
Sascha
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Sehr, sehr coole Bilder – im wahrsten Sinne des Wortes 😉
Und „Damen hoch“ für’s Überwinden des inneren Schweinehunds; bei den aktuellen Minusgraden fällt das wiklich schwer.
Grüße aus dem verschneiten Schwarzwald
Florian
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Es soll natürlich „Daumen hoch“ heißen; irgendwie kann ich den Kommentar nicht ändern 😦
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