Das Suchtverhalten eines wettkampfwilligen Hobbysportlers

Abhängigkeit (umgangssprachlich Sucht) bezeichnet in der Medizin das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und zerstört die sozialen Bindungen und die sozialen Chancen eines Individuums. (Wikipedia)

Neben den, schon zum Alltag gehörenden, Sprüchen wie…

“Du bist aber dünn geworden.”

“Iss mal was.”

“Du bist doch krank.”

…gesellt sich immer mal wieder ein anderer, der mich doch irgendwie zum Nachdenken angeregt hat.

“Du bist doch süchtig.”

Wie stellt man sich einen Süchtigen vor? Welches Bild hat man zuerst vor Augen, wenn einem das Wort “Sucht” oder “Süchtiger” durch den Kopf geht? Sicher nicht das eines Athleten der Marathon läuft, trainiert ist und gesund aussieht. Man stellt sich ein krankes, eingefallenes Gesicht vor. Einen Menschen der an der Nadel hängt oder zur Flasche greift. Klischees.

Süchtig nach Sport, nach Bewegung. Auch das gibt es. Die Medizin bzw. die Psychologie beschreibt diese Sucht als “Substanzungebundene Abhängigkeit”. Aber ab wann ist man abhängig? Ab wann ist man süchtig? Und ab wann erkenne ich ob ich süchtig bin?

Ich liste mal auf:

  • Ausdauersport ist ein zentraler Lebensinhalt
  • bei erzwungenem Verzicht auf Sport treten körperliche Symptome wie Nervosität und Magenschmerzen auf oder psychische wie Schuldgefühle oder Depressionen
  • die Belastung wird kontinuierlich gesteigert
  • der Drang zu trainieren wird als innerer Zwang erlebt
  • körperliche Warnsignale vor Überlastung werden ignoriert
  • es wird auch bei Verletzungen weiterhin trainiert
  • soziale Kontakte werden wegen des Sports vernachlässigt oder aufgegeben

 

Und Parallelen entdeckt?

Also ich habe mich in einigen Punkten wiedererkannt, aber längst nicht in der Form wie sie beschreiben stehen.

Dröseln wir die ganze Sache mal auf. Wie viel Sucht steckt tatsächlich in mir? Bin ich denn abhängig und muss ich demnächst zum Treffen der aLsuBj (anonymen Laufsucht und Bewegungsjunkies)? Dazu habe ich mich einer fundierten Studie unterzogen, die von mir durchgeführt, überwacht und ausgewertet wurde. Ich habe alle oben aufgeführten Punkte genauestens unter die Lupe genommen und in einem mathematisch ausgeklügelten System berechnet. Hier folgt die offene Wahrheit auf die Frage…

“Bin ich süchtig?”

1. Ausdauersport ist ein zentraler Lebensinhalt

Jein. Es ist auf jeden Fall nicht der zentrale Lebensinhalt. Der besteht aus anderen Dingen. Aber das Laufen hilft diesen Inhalt besser zu meistern. Es hilft Dinge lockerer anzugehen und zu bestrachten. Er bietet mir einen guten Ausgleich zu eben diesem zentralen Lebensinhalt. Mir würde aber auch defintiv etwas fehlen, könnte ich nicht mehr laufen oder Sport treiben. Er ist also ein fester Bestand, aber nicht der Mittelpunkt des Universums.

Suchtfaktor7

2. Bei erzwungenem Verzicht auf Sport treten körperliche Symptome wie Nervosität und Magenschmerzen auf oder psychische wie Schuldgefühle oder Depressionen

Ja, aber nicht mit den beschriebenen Symptomen. Ich gehe so weit mit dass mich das schlechte Gewissen plagt, falls aus irgendwelchen Gründen mal eine Einheit ausfallen musste. Es ist auch so, dass ein längere Pause mit Unruhe einhergeht. Ich rutsche dann unruhig auf dem Sofa hin und her. Ein weiteres Symptom ist der “zwanghafte” Kauf von Laufbekleidung und Schuhen oder das anmelden bei irgendwelchen Wettkämpfen, wenn es doch mal zum längeren Ausfall kommt. Das steigert die Vorfreude.

Suchtfaktor8

3. Die Belastung wird kontinuierlich gesteigert

Definfiv ja. Beinhaltet nicht jedes Training eine Steigerung der Belastung? Gestern waren es noch 10km, morgen werden es 15 sein. Beim ersten Marathon läuft man Sub 4, beim nächsten sollen es 3:50 sein. Ohne Steigerung ist dies kaum möglich. Die Belastung wird natürlich im gesundheitlichen Rahmen gehalten. Und auch mein Training erlebt eine stetige Steigerung. Sei es eine längere Strecke oder eine schnellere Pace.

Suchtfaktor10

4. Der Drang zu trainieren wird als innerer Zwang erlebt

Jein. Nun das große ABER. Wenn man gezielt trainiert, bspw. auf einen Wettkampf, verfolgt man meist einen Plan, dieser sollte eingehalten werden. Aber einen inneren Zwang konnte ich jetzt noch nicht erkennen oder ich kann ihn einfach nicht deuten. Ich habe natürlich den Zwang das Training optimal durchzuführen.

Suchtfaktor7

5. Körperliche Warnsignale vor Überlastung werden ignoriert

Nein, die werden nicht überhört. Defintiv nicht. Natürlich laufe ich auch mal wenn es zwickt und zwackt. Da meckert mal die Sehne oder das Knie. Da schmerzt mal die Schulter. Aber das sind alles Dinge die im Rahmen geschehen. Eine Überbelastung wird aber nicht ignoriert. Lieber wird mal ein Tag pausiert und die Sitzkuhle im Sofa erneuert oder der Körper auf Blackroll gequält.

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6. Es wird auch bei Verletzungen weiterhin trainiert

Nein. Bei Verletzungen wird pausiert, ausgeheilt und langsam wieder rangetastet. Auf den Körper gehört und Signale beachtet. Bei den ersten Läufen hängt da das Ohr gern mal überall am Körper, aber die Sicherheit kommt Schritt für Schritt wieder.

Suchtfaktor1

7. Soziale Kontakte werden wegen des Sports vernachlässigt oder aufgegeben

Nein. Die sind durch den Sport sogar noch mehr geworden. Ich habe dadurch wunderbare Menschen kennengelernt. Freue mich bei jedem Wettkampf auf den Kontakt mit anderen Läufern. Und wie schon in einem anderen Artikel geschrieben, hat er hat mir geholfen das Leben zu lieben und auf die Sonnenseite zu gehen.

Suchtfaktor1

8. „Freizeitsportler, die mehr als eine Stunde täglich trainieren, müssen aufmerksam in ihren Körper hineinhören“

Dieses Zitat bzw. diese Aussage habe ich bei der Recherche gefunden. Rechnen wir die ganze Sache mal durch. 4x Lauftraining in der Woche ca. 7 Stunden, dazu kommen ca. 1,5 –  2 Stunden Krafttraining im Studio, zählen wir noch die Dehn-, Roll- und Stabieinheiten, daheim, von knapp 2 Stunden hinzu. Das ergibt das eine Gesamtsumme von 11 Stunden. Hier sind eventuelle Spinningrunden noch nicht mit eingerechnet. Daraus folgt ein Schnitt von ca. 1,6 Stunden Training am Tag. Also kann man sagen “Ja”. Auf jeden Fall Suchtpotenzial vorhanden.

Suchtfaktor9

Auswertung

Fassen wir also zusammen. Wo liegt mein Suchtpotenzial? Nach Betrachtung aller relevanten Daten und rechnen bis in den Morgengrauen, steht mein Suchtfaktor, auf der international unerkannten Suchtheitsskala, bei…

Suchtfaktor6

Was sagt das nun aus? Kann ich mir schon einen Sitzplatz bei den „aLsuBj“ reservieren? Tja, jetzt stecke ich gehörig in der Zwickmühle. Einen Wert von „6“ kann man nicht einfach so ignorieren. Fange ich jetzt an mit leugnen, gebe ich insgeheim zu süchtig zu sein – denn ist nicht leugnen die erste Stufe auf dem Weg zur Sucht? Leugnen Süchtige nicht zuerst ihr Verlangen? Also bleibt nichts anderes übrig als offen zuzugeben…

„Ja, ich bin süchtig.“

Ich bin süchtig nach Bewegung an der frischen Luft.

Ich bin süchtig nach Bewegung in der Natur.

Ich bin süchtig nach #allebekloppt.

Ich bin süchtig nach dem Kontakt zu anderen Verrückten.

Ich bin süchtig nach dem #earlybirdrun.

Ich bin süchtig nach dem Lauf am Tag und in der Nacht.

Ich bin gern süchtig.


Ich hoffe ihr betrachtet das alles mit der selben Ernsthaftigkeit wie ich und ich möchte den Beitrag mit einer weiteren Aussage schließen.

„Nach Schätzungen ist etwa ein Prozent der Freizeitsportler süchtig nach Bewegung.“

DAS REICHT NICHT. 😉

11 Kommentare zu „Das Suchtverhalten eines wettkampfwilligen Hobbysportlers“

  1. Ich sitze gerade das erste mal nach den OPs auf dem ergometer – wackele Extremst mit dem Hintern und reibe Käse mit den Arschbacken – aber ich bewege mich 😊😊😊 auch wenn es noch zwickt – ich grinse wie ein Honigkuchenpferd!

    Ja – ich bin froh wieder süchtig zu werden 😉

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    1. Neben der Tatsache, dass es mich freut das du endlich wieder Sport treiben kannst, freut es mich auch das du während deiner Aktivität meinen Blog liest 👍😆 ich hoffe für dich das war es jetzt erstmal mit Pause und du findest gut zur Sucht zurück. 😉

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  2. Meine Mitmenschen akzeptieren meine Leidenschaft glücklicherweise, daher muss ich mich zum Glück selten noch „rechtfertigen“. Es ist mir aber auch schlicht egal. Die Leute sollen mich nehmen wie ich bin. Und da ich eine bessere Hälfte habe, die mir zu gegebener Zeit auf die Füße tritt, ist das mit der Sucht auch kein Problem 😛

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  3. Hallo Eric,
    die Auswertung hätte ich so ähnlich auch abgegeben. Es ist mit Sicherheit großes Suchtpotential da, aber so lange man auf die Signale des Körpers hört, ist doch alles okay.
    Erst wenn man sich total abschottet, an wirklich nichts mehr andere denken kann und auch verletzt trainiert – zerstört sich damit selbst.

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    1. Hallo,
      richtig. Sind wir nicht alle ein wenig süchtig? 😉 Man muss es nur unter Kontrolle halten und, wie du schon schreibst, auf die Signale hören… dann ist doch alles im grünen Bereich. 🙂

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